Was ist eigentlich chinesische Medizin?
Die chinesische Medizin umfasst unterschiedliche Therapieverfahren wie Kräuterheilkunde, Akupunktur, Massage und manuelle Therapie. Heutzutage als „Traditionelle Chinesische Medizin“ (TCM) bezeichnet und als ein einheitliches System präsentiert, besteht die chinesische Medizin in Wahrheit aus unterschiedlichen Theorien und Praktiken. Diese werden bei unterschiedlichen Krankheiten und bei unterschiedlichen Patienten flexibel angewendet. Was man über ihre Wirksamkeit weiß, beruht dabei auf Erfahrung: Nicht nur den persönlichen Erfahrungen des Behandlers, sondern auch den Erfahrungen unzähliger Ärzte der letzten zwei Jahrtausende. Die alten Lehren von Yin und Yang, von Körper, Geist, und Umwelt bilden dafür die Grundlage. Diese basieren zum großen Teil auf Beobachtung der Natur und des Menschen, sind aber auch stark beeinflusst von den philosophischen Ideen des Konfuzianismus und Daoismus. Die moderne TCM ist dagegen darum bemüht, die Wirkung von Akupunktur oder Kräutern durch naturwissenschaftliche Forschung nachzuweisen. Auch diese Erkenntnisse fließen in die heutige Praxis der chinesischen Medizin mit ein.
Gesundheit, Krankheit und Behandlung in der chinesischen Medizin:
Der menschlicher Körper besteht aus dem Zusammenspiel von Yin und Yang. Yin bezeichnet beim Menschen das Substanzielle, das Nährende, das Kühlende, die unteren, inneren und vorderen Teile des Körpers. Yang hingegen ist das Aktive, die Bewegung, das Wärmende, die oberen, äußeren und hinteren Teile des Körpers. Sie befinden sich in dauernder Interaktion miteinander. Der Körper besteht aus Organen, Geweben und Substanzen mit Yang-artigeren und Yin-artigeren Funktionen. Diese befinden sich in ständigen Prozessen der Bewegung und Umwandlung. Alles Körperliche ist dabei verbunden mit den geistigen Aspekten des Menschen, und der Mensch steht in ständiger Interaktion mit seiner Umwelt. Sind die Substanzen und geistigen Kräfte des Menschen im physiologischen Fluss und die Interaktion mit der Umwelt harmonisch, dann bedeutet das Gesundheit. Krankheit entsteht durch Ungleichgewicht innerhalb dieser Prozesse.
Diese physiologischen Grundlagen und die Wirkungen der chinesischen Medizin sind unmittelbar wahrnehmbar. Ein Beispiel: Unser Essen gelangt von Außen (Yang) nach Innen in unseren Körper (Yin). Dort wird es verdaut (ein aktiver, also Yang-artiger Prozess). U.a. werden Kohlenhydrate (Substanz, also Yin) aufgespalten zu Zucker, aus dem unsere Zellen Energie bilden können (Yang). Oder wir setzen Substanz (Yin) an. Leiden wir aber an einer Verdauungsstörung, ist dieser Prozess gestört. Wässrige Durchfälle bedeuten in der chinesischen Medizin z.B. dass ein schwaches Yang das Essen nicht mehr umwandeln kann. Das führt zu Mangelerscheinungen und Gewichtsverlust (Verlust an Yin) und verminderter Vitalität und Kältegefühlen (mangelndes Yang). In diesem Fall stärkt der Arzt mit wärmenden, stärkenden Kräutern die Verdauungsfunktion und stoppt mit zusammenziehenden Kräutern den Durchfall. Eine Behandlung mit chinesischer Medizin bedeutet also die Wiederherstellung physiologischer Körperfunktionen und eine Harmonisierung der äußeren und der inneren Welt.
(Weitere Beispiele der unmittelbaren Erfahrbarkeit chinesischer Medizin finden Sie in meinem Blog.)
Die Texte und Traditionen der chinesischen Medizin:
Die Medizin Chinas birgt einen reichen Schatz an Texten: Es gibt Bücher über medizinische Theorie und über pharmazeutische Substanzen und Rezepturen. Es gibt Bücher über Akupunkturpunkte, Massage, und chiropraktische Maßnahmen. Es gibt Sammlungen von Erfahrungsberichten und Fallstudien. Und es gibt unzählige Schriften über die praktische Behandlung von Krankheiten. Dies umfasst auch medizinische Spezialgebiete wie die Frauenheilkunde, die Kinderheilkunde, die innere Medizin, die Wundmedizin und die Behandlung infektiöser Erkrankungen. Gerade durch diese spezialisierten Texte wurde Erfahrungswissen über Jahrhunderte weiter gegeben. Die chinesische Medizinliteratur reicht also von den antiken Klassikern der Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) über die zahlreichen Werke, die ab dem 11. Jh. mit der Entwicklung des Buchdrucks ihre Verbreitung fanden, bis hin zu Handschriften des 19. Jh. Eine solch ungebrochene Transmission von medizinischem Wissen und Praktiken sucht in der westlichen Welt ihresgleichen.
Chinesische Medizin bestand also schon immer aus Vielfalt und Synthese. Es gab Ärzte, die sich streng auf eine bestimmte Medizintradition beriefen, und andere, die unterschiedliche Ideen flexibel anwendeten. So ist es noch heute. Manche Kräuterärzte halten sich allein an die Lehre der „Kälteschädigungen“ oder sogar einer bestimmten Lehrtradition darin, andere an die der „Wärmeerkrankungen“. Wieder andere wenden das an, was im modernen China „kombinierte chinesische und westliche Medizin“ genannt wird. Es gibt Akupunkteure, die japanische Akupunktur betreiben, moderne TCM-Akupunktur, oder nur die sogenannte Balance-Methode. Hinter all dieser Vielfalt stecken jedoch die oben beschriebenen, universell erfahrbaren und anwendbaren Ideen.